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„Bahnhof Hullern“ - ein nicht realisiertes Projekt

Hullern, Abfahrt 7.20 Uhr - Ankunft Bf. Haltern 7.25 Uhr

So ähnlich mag heute vielleicht der Fahrplan lauten, ja - wenn die seit 1908 mehrmals projektierte Eisenbahnstrecke aus Richtung Olfen oder Lüdinghausen - Seppenrade je gebaut worden wäre.

Inwieweit hätten sich dann u.a. Hullerns ländlicher Charakter, seine Wirtschaftsstruktur und sein Siedlungsbild verändert?

Viel Platz für eine Fülle von Hypothesen, Spekulationen und Fragen, auf die - Gott sei Dank - niemand eine genauere Antwort geben kann oder muss.

Andererseits scheint im nachhinein dennoch von Interesse zu sein, wo denn u.a. der „Bahnhof“ liegen sollte, aus welchen Gründen überhaupt die Streckenführung über Hullern mehrmals projektiert und letztendlich verworfen worden ist.

Die Integration des südlichen Münsterlandes in das Eisenbahnnetz war bis zum Jahre 1874/1875 mit dem Bau der Strecken Hamm - Münster (1848), Wesel - Hervest - Haltern - Münster bzw. Wanne - Recklinghausen - Haltern - Münster und Dortmund - Lünen - Bork - Selm - Lüdinghausen - Dülmen weitgehend abgeschlossen. Die Bahnlinie Lünen - Werne - Münster ist nachträglich erst 1928 in Dienst gestellt worden.

Planungsbeginn

Der erste Hinweis „betreffend den Gleisanbau von Olfen nach Bork resp. von Olfen nach Hullern“ findet sich in der Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung der Gemeindevertretung Olfen - Stadt vom 02.8. bzw. 22.8.1870. (1)

„Nach eingehender Erörterung ... der bezughabenden Verhältnisse, zumal die kriegerischen Verhältnisse [Anm.: der deutsch-französische Krieg ab 19.7.1870] in ein Stadium getreten (sind), die weniger Sorge aufkommen lassen ...“ wurde dennoch im folgenden Jahr das „Nebenbähnlein“ rasch zu den Akten gelegt.

Im Jahre 1894 richtete dann der Olfener Gemeindevorsteher Sulzer ein Gesuch an den Königl. Staatsminister in Berlin wegen einer Eisenbahnanlage Haltern - Hullern - Olfen - Lünen - Kamen. Nachdem das Ministerium einen lückenlosen Nachweis über die Aufbringung der anscheinend zu hohen Kosten erbat, wurde der Plan vorerst fallengelassen.

Trotzdem bekundete die Staatseisenbahnverwaltung in einer „Denkschrift betreffend einer Verbesserung der Abfuhr aus dem Industriegebiet“ weiterhin ihr Interesse an der „Ausgestaltung des Bahnnetzes dieses Bezirkes“. (2)

Mit der zwischenzeitlichen Projektierung wurde die Kölner „Lokalbahn - Betriebs - Gesellschaft Hiedemann & Co.“ beauftragt; auf der folgenden Seite wird aus der von ihr 1897 erstellten Streckenkarte der Ausschnitt mit dem „Bahnhof Hullern“ vorgestellt. (3)

Der um 1897 erstellte Entwurf „Bahnhof Hullern“ mit Bahnsteig und Güterabfertigung an der Einmündung der heutigen Antruper Straße in die Westruper Straße gegenüber dem Kommunalfriedhof

Die Abseitslage des Bahnhofs - aus der Sicht des Dorfes Hullern in unmittelbarer Nähe der damals zur Gemeinde Overrath (Kirchspiel Haltern) gehörenden Bauerschaft Antrup - verwundert auf den ersten Blick, diese Streckenführung weist jedoch die geringste Abweichung im Längsprofil zwischen Haltern und Olfen auf.

Stellungnahme

Zum geplanten Streckenobjekt Haltern - Hullern - Olfen - Lüdinghausen - Senden gab am 31.01.1908 Halterns Ehrenamtmann Graf von Westerholt in einem Schreiben an den Landrat zu Coesfeld folgende Stellungnahme ab:

„Es steht außer Zweifel, daß für Hullern die Anlage einer Eisenbahn von Bedeutung sein würde. Hullern, der einzige Ort des Amtes, welcher für die projektierte Linie in Frage kommt, lebt fast ausschließlich von Landwirtschaft. Die Ökonomie hat einen erfreulichen Aufschwung genommen, doch ist der Boden durchweg sehr gering und nur ein Steuersoll von ca. 650 Mark vorhanden.

Außer den landwirtschaftlichen Betrieben besteht noch eine Kornbrennerei, die für Anfuhr von Brennmaterial in Betracht kommt; die Produkte werden meist in den Nachbarorten abgesetzt. Von Bedeutung würde eine Eisenbahnverbindung den 2-3 Möbelschreinereien sein, die dort mit Motorbetrieb arbeiten und ihre Produkte per Achse dem Bahnhof Haltern zuführen müssen. Von der Gemeinde Kirchspiel Haltern kommen für die Bahn nur die an der Lippe liegenden Unterbauerschaften Westrup und Antrup in Frage. Durch Beschluss der Gemeindevertretung werden diese Bauerschaften nunmehr eine Straße nach Haltern erhalten und es kommt für Westrup dann jedenfalls wohl der Bahnhof Haltern mehr in Betracht als Hullern.

Neben den landwirtschaftlichen Produkten ist namentlich der große Vorrat an Wald zu nennen. ... Die nördlich der Stever belegenen Teile der Gemeinde Hullern sind meist zur Gewinnung von Schwemmsand (nicht Kohlen) vom Bergfiskus angekauft. ... Die Führung der Bahn auf Lüdinghausen - Sendenhorst dürfte nicht zweckmäßig erscheinen, da das südliche Industriegebiet von Hamm und Dortmund dann nach wie vor nicht besser zu erreichen sein wird.

Es steht zu befürchten, daß, wenn die Bahn (nach) Lüdinghausen gebaut ist, die Bahn nach Hamm, dem Lippetal folgend, in Frage gestellt wird.“ Der Graf ist weiter der Meinung, „daß, wenn eine Staatsbahn mit direkter Verbindung nach Hamm nicht gebaut werden sollte, die Gemeinde Hullern eine Verbindung mit der Landesbahn freudig begrüßt. Jedoch kann dieser Ort keine Opfer zum Bau bringen, die Gemeinde Kirchspiel Haltern hat hierzu keine Ursache. (4)

Dem u.a. im Staatsarchiv Münster und auch im Stadtarchiv Haltern vorliegenden Aktenmaterial ist zu entnehmen, dass die Westfälische Landes - Eisenbahn - Gesellschaft zu Lippstadt inzwischen offiziell mit den Vorarbeiten des Bahnprojektes beauftragt war. Sie plante zu obiger Streckenführung auch die Variante Hullern - Olfen - Selm - Nordkirchen - Südkirchen - Capelle - Herbern - Mersch - Ahlen.

Andere Vorstellungen

Die Vertreter der an der Bahnlinie interessierten Gemeinden und Verbände lehnten am 20.04.1909 in Selm die Trasse über Lüdinghausen strikt ab, weil die „Linie wegen des fehlenden Massengüterverkehrs in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Rentabilität habe ... Die Versammlung erklärt ... einstimmig dahin, daß dem heute in Vorschlag gebrachten Eisenbahnprojecte von Haltern nach Ahlen aus wirtschaftlichen Gründen gegenüber dem früheren Project einer Bahnverbindung von Haltern nach Enniger - Neu = Beckum der Vorzug zu geben sei ...“ Außerdem wolle man ggf. die anteiligen Erschließungskosten pro Kilometer Bahnstrecke übernehmen. (5)

Schlüsselt man aus Denkschriften und Fragebogenaktionen der beteiligten Gemeinden und Behörden die geplante Funktion dieser Linie näher auf, dann sollte sie als Querverbindung und evtl. als spätere Entlastungsstrecke u.a. die schnellere Nordwanderung des Bergbaus im Raum Olfen (fiskalische Kohlenfelder!) forcieren. Der einkalkulierte Abtransport der Kohle per Bahn versprach der Gesellschaft hohen Gewinn. Angrenzende Sandlager könnten zu Spülversatzzwecken für den Bergbau nutzbar gemacht werden. Selbstverständlich war auch an den Transport land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse gedacht. (6)

Planungsabschluss

Anfang Oktober 1910 hatte die Eisenbahn-Gesellschaft zu Lippstadt alle Vorarbeiten der Bahnstrecke Haltern - Hullern - Olfen - Selm in Richtung Ahlen fertiggestellt. Die geplante Gesamtlänge der Strecke betrug „61,342 klm und die Kosten 12268,40 Mark, d.h. rund 200 M für jedes Kilometer, also 50 Mark pro klm mehr, als ursprünglich überschläglich angenommen worden war ...“ Von der Strecke sollte auf die Gemeinden Haltern - Land und Hullern eine Länge von 5,635 km (Kosten: 1127 Mark) bzw. 2,111 km (422,20 Mark) entfallen. (7)

In einer der letzten Ausschuss-Sitzungen, die unter dem Vorsitz des Landrates Graf von Westphalen am 4. Juli 1911 in Lüdinghausen stattfand, wünschte Ehrenamtmann Graf von Westerholt-Sythen, „daß der Bahnhof Hullern etwas verschoben werde, damit er ins Gebiet der Gemeinde Hullern zu liegen komme, und daß die Bahn zwischen Haltern und Hullern etwas weiter ab von der Chaussee gelegt würde“.

Der Direktor der Westfälischen Landeseisenbahn entgegnete, dass „dem ersteren Wunsche keine Bedenken entgegenständen, der letztere Wunsch noch näher dahin zu prüfen sei, ob die Bahn nicht dadurch zu stark in welliges Gelände gerate“

Das Projekt kam aber aufgrund erneuter Wirtschaftlichkeitsberechnungen ins Stocken.

Im April 1914 griff die Königliche Eisenbahndirektion zu Münster die gleiche Linienführung über Hullern wieder auf; die jetzt als "Hauptbahn" deklarierte Strecke wurde aber unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg aus dem Eisenbahn - Verkehrswegeplan gestrichen.

Nach dem 2. Weltkrieg, insbesondere um 1949/1950, stand nochmals das neue Bahnprojekt Haltern - Hullern - Seppenrade - Lüdinghausen - Nordkirchen - Cappenberg - Herbern - Nordick - Hölter mit Anschluss an die Bahnlinie Hamm - Münster zur Disposition. Von Hullern aus war eine Nebenbahn über Olfen nach Bork eingeplant.

 


Quellen
(1) Vgl. G. Röper, Chronik Stadt Olfen, Lüdinghausen 1986, S. 97.
(2) Staatsarchiv Münster, Kreis Coesfeld Nr. 115.
(3) Staatsarchiv Münster, Kartensammlung A 1743.
(4) Stadtarchiv Haltern, Amt Haltern, Nebenakten Abt. VI, 37 Nr. 2.
(5) Wie Anm. 4.
(6) Staatsarchiv Münster, Kreis Coesfeld Nr. 671.
(7) Wie Anm. 4.

Manuskript weitgehend veröffentlicht in: Haltener Jahrbuch 1996, S. 151 - 155