Gewerbe
Hullern zur Jahrhundertwende [1899/1900]: Größter Arbeitgeber Schreinerei und Kolonialwaren Köpper
Beim Abbruch des alten Gebäudekomplexes der Familie Wüller-Köpper an der Hauptstraße/Ecke Borkenbergestraße im August 1998 waren in einem Dachgiebel mehrere Akten und Geschäftsbücher aus der Zeit 1895 - 1908/1919 gefunden worden.
Die Familie Loddenkemper überließ mir freundlicherweise das Material zur Auswertung, und so konnte ich mich näher mit der Firmengeschichte der Familie Köpper vor rund 100 Jahren beschäftigen und dabei manch interessanten Einblick in die dörflichen Arbeits- und Lebensverhältnisse gewinnen.
Auf staatliche Anordnung hin und aufgrund wirtschaftlicher Anreize waren die bereits bedeutenden Waldbestände in Haltern und Umgebung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts stark ausgedehnt und verbessert worden.
Im expandierenden nahen Ruhrrevier stieg nämlich sehr rasch die Nachfrage nach Holz für die Kohlengruben, für die aufblühende Bauwirtschaft und für den Ausbau der Eisenbahnstrecken mit Gleisschwellen.
Möbelindustrie im Aufwind
Der eigentliche Aufstieg der holzverarbeitenden Industrie in Haltern fällt in die Zeit nach 1870.
Wenige Jahre nach Eröffnung der Eisenbahnlinie Wanne - Münster begann in unmittelbarer Nähe zum Halterner Bahnhof die Ansiedlung einiger Holzhandlungen, unter denen die Firma Kolck & Schregel herausragte. Sie verarbeitete das rohe Holz in einem eigenen Dampfsägewerk weiter, expandierte schnell und beschäftigte im Jahre 1899 bereits 175 Arbeiter.
Auch die Möbelindustrie entwickelte sich, getragen von der allgemein günstigen Konjunktur, der Hebung des Lebensstandards und der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung, weiter.
Leider verdrängte sie aber besonders auf dem Lande die zahlreichen, oft als Nebengewerbe registrierten Kleinhandwerksbetriebe wegen deren fehlender Rentabilität.
In Hullern, einer damals typischen „Handwerks- bzw. Arbeiterbauerngemeinde“, hatte Schreiner- und Tischlermeister Heinrich Köpper bei seiner Eheschließung mit Maria Bussmann aus Haltern im Jahre 1890 den elterlichen Handwerksbetrieb mit dem kleinen Kramladen übernommen.
War das Anwesen im September 1827 „nach dem Miethzinse“ noch wie fast alle anderen dörflichen Gebäude mit Ausnahme derjenigen der Bauern und der Pastorat mit „IV“ klassifiziert worden, stand es jetzt dank der Eltern mit „III“ auf einigermaßen gesunden Füßen.
3 Tage in der Woche mit Dampfkraft
Bis 1899 war die Schreinerei dem sich immer mehr beschleunigenden technischen Fortschritt angepasst worden: Nach der Konzessionserteilung vom 27.10.1896 zur „Nutzung der Dampfkessel-Betriebskraft“ entstand ein industrieller Kleinbetrieb mit 10-12 Mitarbeitern, der sich vorwiegend auf die Herstellung von Möbeln spezialisiert hatte.
Grundsätzlich wurde an 3 Tagen in der Woche mit Dampfkraft gearbeitet. Manch anderer Schreiner, Tischler oder Zimmermann aus dem Dorfe nutzte an diesen Tagen in der Mittagspause oder nach Feierabend gegen Entgelt Köpper`s Betriebskraft.
Der Holzankauf lief meistens über regionale Großhandlungen, aber auch bei heimischen Bauern wurden Bestellungen, wie z.B. im Jahre 1899 bei Sebbel in Westrup 4 Weiden, je 1 Eiche bei Hagemann und Heuer, getätigt.
Geschäftsbeziehungen
Blättert man einmal in den im letzten Jahr gefundenen „Offertenbüchern“ (1898-1909), ist man erstaunt über die damaligen Geschäftsbeziehungen, die sich nicht nur auf den Raum Haltern konzentrierten, sondern mit namhaften Firmen im Ruhrgebiet, nach 1905 sogar in Gronau, Münster, Osnabrück, Bielefeld und Bremen gepflegt wurden.
Was den Fernhandel anbelangt, erfolgte der Versand von Stückgütern und Warenladungen ausschließlich über den Halterner Bahnhof. Sogar ein Blanko-Frachtbrief der Firma Köpper („Bahnstation Haltern=Westf.“) zwecks Lieferung mit der Teutoburger Wald-Eisenbahn blieb erhalten.
Von Interesse dürften einige Halterner Aufträge vor 100 Jahren sein: 1 Bücherschrank für Sebbel in Westrup, Katheder, Bänke und Schränke für die Lavesumer und Lippramsdorfer Schule, Fenster und Türen für das Forsthaus Haard, Ausbau des Gepäckschalters am Bahnhof und Schränke für die Apotheke von Franz Leidiger in der Stadtmitte.
„Roh-Möbel“ in Kommission
Auch Zuschnitte und Teilanfertigungen von „Roh-Möbeln“ erfolgten in Kommission für die Schreinermeister-Kollegen Heinrich Bertels, Clemens Grube, Joseph Strickling, Adolf Eilert aus Haltern, Joseph Kleine Puppendahl in Hamm und Johann Brüggemann in Lippramsdorf.
Im sogenannten „Cassa-Buch“ (1902-1905) sind nicht nur die Namen aller damals bei der Firma Köpper beschäftigten Meister, Gesellen und Lehrlinge, ihre Monat für Monat angefertigten Möbelstücke und Lohnabrechnungen aufgelistet, sondern auch Abgaben für die Altersversicherung und Lohnverrechnungen mit Kolonialwaren vermerkt.
Auszahlung „an Baar“
Zum Beispiel verdiente Schreinergeselle Heinrich Niehues (geb. 1883, Haus-Nr. 69) im Mai 1902 u.a. für die Herstellung von 2 Kleiderschränken 14 Mark, eine Waschkommode und „1 Stück Blendrahm-Thür mit Oberlicht“ wurden mit 4,50 bzw. 3,50 Mark vergütet. Seine Altersversicherung für 3 Monate betrug 1,30 Mark. In gewissen Abständen erfolgte die Auszahlung „an Baar“ mit 20 Mark.
Somit standen viele Angehörige der alten Hullerner Familien bei Köpper „in Arbeit und Brot“: Von Heinrich Klimse (geb. 1855, Haus-Nr. 25), Joseph Pötter (geb. 1884, Haus-Nr. 42) über Anton Bücker (geb. 1872, Haus-Nr. 66), Anton Depel (geb. 1880, Haus-Nr. 63) bis Theodor Stüer (geb. 1878, Haus-Nr. 16), um nur einige von ihnen zu nennen.
Inzwischen hatte Heinrich Köpper auch in den von den Eltern übernommenen Kramladen investiert und ihn der Zeit entsprechend zu einer Kolonialwaren-Handlung mit breiterer Angebotspalette ausgebaut.
In erster Linie wurden bei dem hohen Grad an Selbstversorgung im Dorf Waren für den Grundbedarf gehandelt. Kaffee, Tee, Gewürze zählten noch zu Luxusartikeln.
Bleibt nun die Frage: Was „gönnten sich“ die Hullerner vor rund 100 Jahren „bei Köppers“?
Die Auswertung zweier Geschäftsbücher, „Colonal Waaren Köpper, 1895 - 1899“ und „Debet-Cassa-Credit, 1904 ff.“, ermöglicht natürlich keinen repräsentativen Einblick in die damalige Angebotspalette und das dörfliche Konsumverhalten.
Tatsache ist, dass in beiden Büchern fast alle Hullerner Haushalte, vom Pfarrer bis zu den Bauern an der Stever, in Antrup, Westrup, Kökelsum, sogar Kunden aus Ahsen registriert sind. Es war üblich, „anschreiben“ zu lassen und von Zeit zu Zeit „Abschläge“ zu zahlen.
Für den Bürgermeister „besten Caffee“
Am häufigsten gefragt waren im Jahr 1898/1899 Soda, Seife, Stärke, Petroleum, Leinöl, Zündhölzer, Zucker, Salz, Reis, Essig, Gewürze, Glas und Kitt, Thomasmehl sowie Canit und Guano in Säcken, geschmiedete Nägel, Chili und Griesmehl.
Bürgermeister Streyl erlaubte sich dann und wann „1Pfund besten Caffee“ für 1,35 Mark, auch Zwieback und Limonade; 1Pfund Tabak kostete Pfarrer Leifers 1,40 Mark, mehrmals im Jahr waren die Frachtkosten für Weinkörbe vom Bahnhof zur Pastorat vermerkt. Lehrer Bösing ließ nur einen Eimer Salz, Guano und Thomasmehl anschreiben. Ab und zu gab es Heringe im Sonderangebot, pro Stück für 8 Pfennige.
Heinrich Köpper starb am 24.04.1922.
Nach dem Tode seiner Frau Maria übernahm 1933 Sohn Anton (geb. 16.04.1907) die Firma und das Kolonialwarengeschäft. Er blieb ledig und verstarb am 15.05.1996.
Hullern im Jahre 1899/1900:
Selbständige Landgemeinde (im Amt Haltern, Kreis Coesfeld, Regierungsbezirk Münster, Provinz Westfalen) und Kirchspiel mit Dorf und Bauerschaft Stevern, d.h. ohne Antrup und Westrup, die zu Overradt/Kirchspiel Haltern gehörten; dem Amtsgericht Haltern zugeordnet.
Fläche: 711,2 ha; 384 Einwohner (alle katholisch).
[Zum Vergleich (1999/2000): heutige Fläche 1624,25 ha; Einwohner (Stichtag: 30.06.1999): 2466 (1240 m, 1226 w); 1502 kath., 556 ev., 408 sonstige bzw. ohne Religionsgemeinschaft.]
Bürgermeister (1890 - 1920): Joseph Streyl, Bauer an der Stever.
67 bewohnte „Häuser“ (Höfe, Kotten etc.); von den 71 Hausnummern waren einige zwischenzeitlich vakant.
Berufe: neben Pfarrer, Lehrer und 3 Gastwirten (davon 1 Brennereibesitzer) Bauer (8), Handwerker/Meister, Kötter, Schäfer, Händler, Bergmann, Arbeiter, Tagelöhner.
(Erst im Jahre 1912 werden die Gebäude und Ländereien der damals zu Overradt gehörenden Familien Bünder gt. Schwacke, Langenkamp (Schmiede) und Suntrup an der heutigen Schmiedestraße verwaltungsmäßig an die Gemeinde Hullern abgetreten.)
Versorgung: ohne Elektrizität, Wasser per Hausbrunnen; erst im Jahre 1903 Gründung der Bäuerlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft.
Straßen: befestigte Kreischaussee Haltern - Hullern (seit 1854), alle anderen Wege (nach Olfen, Seppenrade, Ahsen etc.) unbefestigt.
Vereine: mehrere kirchliche und Bruderschaften, Schützenverein/Schützengesellschaft (nachweislich ab 1857), Kriegerverein (im Mai 1895 gegründet).
Der ganze Stolz der Gemeinde: die 1895/1897 erbaute neue Pfarrkirche St. Andreas.
Manuskript teilweise veröffentlicht in: Halterner Zeitung, 09.10.1999